Liebe ist die beste Medizin
Für einander da sein (GAG)
Simona Caratus
04. November 2019
Medikamente = Lebensqualität?
Die raschen Fortschritte der Medizin machen es möglich, dass wir immer älter, dynamischer und leistungsfähiger werden. Der Griff zur Medikamentenschachtel ist für viele zur täglichen Routine geworden. Kopfschmerzen, Unwohlsein, Schlafprobleme, es gibt fast für jede Beschwerde eine passende Pille. Ist das nicht wunderbar? Warum soll man leiden, wenn die Lösung griffbereit ist? Das ist doch Lebensqualität. Der Trend geht so weit, dass eine ärztliche Untersuchung überflüssig wird. Dr. Google hat die Antwort für uns parat. Die Apotheken und Drogerien verkaufen rezeptfrei Schmerzmittel, Wundertütchen gegen Erkältung, Multivitamin Brausetabletten und vieles mehr. Wenn das nicht reicht, hat die Nachbarin bestimmt auch noch gute Tabletten die ihr letztens bei ihren Hüftschmerzen so geholfen haben.
Im Fernsehen schwärmt man für Pillen mit der Kraft einer exotisch klingenden Wurzel, die unser Gehirn bis ins hohe Alter zur Hochleistung antreiben soll oder für ein Medikament welches unsere Blase wieder dicht hält. Ist das alles so schlecht oder lächerlich? Weder noch, es ist unsere Normalität.

Vorsorge statt Wunderpille
Im Dschungel der Angebote können wir uns leicht verirren, am liebsten würden wir für alle kleinen und grösseren Beschwerden die passende Pille parat haben. Das ist nicht unbedingt schlecht. Die Forschung hat unbestritten unglaubliche Errungenschaften erreicht, das vieles möglich macht: Ein schmerzfreies Leben, Heilung sogar bei Krebs, Organtransplantation. Vieles ist möglich, aber nicht alles.
Die Wunderpille gegen das grosse Vergessen ist immer noch nicht auf dem Markt. Demenz ist nicht heilbar. Noch nicht. Die Experten wissen bereits sehr viel und doch tappen sie im Dunkeln. Eine gesunde Ernährung, viel Bewegung, geistig aktiv bleiben, all das soll helfen, um Demenz vorzubeugen, aber eine Garantie gibt es nicht. Das klingt erstmal entmutigend. Viele fürchten sich vor der Diagnose, merken zwar, dass etwas nicht in Ordnung ist, aber der Gang zum Arzt oder in eine Memory Klinik wird lange vermieden. Das ist sehr schade, den gerade im Anfangsstadium kann die Medizin noch helfen und der Krankheitsverlauf verlangsamt werden. Zeit zu gewinnen ist wertvoll. Die Wunderpille ist noch nicht da, aber Vorsorge ist ein wertvolles und greifbares Angebot.

Weniger ist mehr
Stellen sie sich vor, der erste Schritt ist gemacht, die bittere Wahrheit holt Sie ein und es steht Schwarz auf Weiss, Sie sind an Demenz erkrankt. Wie weiter? Das ganze Leben ist auf den Kopf gestellt. Die Gedanken spielen verrückt, das Herz ist schwer wie Blei, der Blutdruck ist hoch und sämtliche Laborwerte spinnen auch. Da muss der Arzt natürlich die Medikamente anpassen. Gegen Depressionen brauchen Sie auch etwas und schlafen können Sie auch nicht mehr. Her damit, der Sack ist voll mit bunter Medizin. Der nächste Arzt zu dem Sie gehen übernimmt automatisch die Medikation des Vorgängers, aus Respekt gegenüber seinem Kollegen. Vielleicht haben Sie Glück und er hinterfragt, ob Sie wirklich noch alles brauchen oder ob Sie etwas weglassen können. Sie möchten aber selber gar nichts weglassen, aus Angst es könnte ihren Zustand verschlechtern.
Die Wahrheit ist, dass unsere Patienten oft viel zu viele Medikamente erhalten. Diese Vielzahl von Medikamenten kann teilweise sogar kontraproduktiv sein, weil die Wirkstoffe nicht miteinander harmonieren. Haben Sie den Mut und hinterfragen Sie jedes Mal wenn Sie oder Ihre Angehörigen Medikamente verschrieben bekommen: «Warum?», «Wie lange?» und «Was bringt es?». Medikamente sind wichtig, aber wie heisst es doch so schön: «Auf die Dosis kommt es an».

Liebe und Zuneigung statt chemische Keulen
Es ist längst bewiesen, dass glückliche Menschen gesünder sind und länger leben. Was braucht es um Glück und Freude zu empfinden? Klar kommt hier für kurze Zeit auch eine Wunderpille in Frage, aber auf Dauer gewinnt die Liebe das Rennen. Menschen die lieben und sich geliebt und bestätigt fühlen sind einfach glücklicher als die, die ständig unter Druck stehen und oft mit Kritik konfrontiert sind. Deswegen sind wir bemüht unseren Bewohnenden durch eine wertschätzende Haltung zu begegnen. Wir bestätigen ihre Handlungen, loben sie, ermöglichen ihnen ihre geliebten Haustiere zu behalten, zeigen ihnen durch kleine Gesten der Zuneigung dass sie willkommen sind.
Wir schenken ihnen so viel Freiheit und Selbstbestimmung wie nur möglich. Wir ermutigen die Angehörigen sie so oft wie möglich zu besuchen, mit ihnen Sachen zu unternehmen, Spaziergänge, gemeinsam etwas zu lesen, Kaffee zu trinken, und gemeinsam zu lachen. All das trägt viel dazu bei, dass Menschen mit Demenz viel weniger Medikamente brauchen.
Denn sie sind fähig, bis zum Schluss Gefühle zu empfinden. Sie brauchen, im Vergleich zu uns normal Denkenden nur ein wenig Liebe und Zuneigung, um glücklich zu sein. Und das ist für sie die beste Medizin.

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